Weil ihr mir Bauchschmerzen macht
by Mirjam Wörnle
Ich bin gerne Journalistin. Und sehr gerne bin ich das beim SWR, der Teil der ARD ist. Wäre mir mein Job egal, würde mir das eine Menge Magenschmerzen ersparen. Die bekomme ich in letzter Zeit aber fast täglich. Zum Beispiel immer dann, wenn ich Kommentare auf den SWR-Facebookseiten lese. Oder wenn ich mit Interviewpartnern spreche, die sich ehrenamtlich für Flüchtlinge engagieren, die mir erzählen, dass sie jedes Mal Hass-Nachrichten bekommen, wenn sie sich in den Medien äußern. Oder wenn ich davon höre, dass sich eine Gruppe namens „Karlsruhe wehrt sich“ nächste Woche vor meinem Arbeitsplatz versammeln will, um gegen uns Journalisten zu demonstrieren. Und das so ankündigt:
„Wenn die Herrschenden nicht zum Volk kommen, gehen wir eben dorthin, wo sie sind. Schluss mit ungestörtem Lügenpresse-Funk, die Damen und Herren im SWR Funkhaus dürfen ruhig hören und sehen, dass das Deutsche Volk sich diesen Wahnsinn nicht länger gefallen lässt!“
Mit dabei: Ein bekannter PEGIDA-Redner, ein Blogger, der ganz offen gegen den Islam hetzt und eine ehemalige NPD-Spitzenkandidatin. Sie und noch einige andere wollen uns lautstark klar machen, dass wir für sie „Lügenpresse“ sind.
Liebe „Karlsruhe wehrt sich“-Menschen: Bei allem Verständnis für Sorgen, Ängste und Nöte, eure verstehe ich nicht. IHR lügt und provoziert. Nicht wir. Wir bedrohen nicht euch, IHR bedroht UNS. Mit all eurem Hass, den ich einfach nicht verstehen kann. Wir zensieren nicht euch. Ihr droht uns zu zensieren. Denn: Ihr macht mir Angst. Und damit bin ich sicher nicht alleine. Ich will nicht zulassen, dass uns diese Angst zensiert. Wenn wir euch zu Gespräch und Diskussion bitten, dann kommen die wenigsten von euch. Oft genug haben Kollegen das versucht. Ihr wollt nicht reden, aber werft uns vor euch nicht zu hören? Ich kann euch einfach nicht verstehen. Aber von euch will ich mir die Freude an meinem Job nicht kaputt machen lassen.
[…] Bauchschmerzen und das obwohl ich in meinem Volo kaum mit solchen Leuten zu tun habe. In ihrem Beitrag auf dem Medienethik-Blog schreibt sie, wie es ihr gerade geht und was sie den Demonstranten von “Karlsruhe wehrt […]
Stimme inhaltlich völlig zu. Wollte nur meine Überraschung zum Ausdruck bringen, dass bei wordpress.com die Subdomain “medienethik” noch frei war.
Beste Grüsse in den Süden
Jens Best
Liebe Frau Wörnle,
Ihre Bauchschmerzen kann ich sehr wohl verstehen. Ich habe mich immer als liberal verstanden und daher toleriere ich Hass, Gewalt und Rassismus nicht.
Dennoch kann ich mich nicht ganz des Eindrucks erwehren, dass in bestimmten Medien einseitig berichtet wird und die Berichterstattung immer weniger mit den Eindrücken vieler Menschen übereinstimmt.
Ein Beispiel: Ich lebe am Stadtrand von München in einer relativ abgrenzbaren Siedlung mit 2.800 Einwohnern. Durch den Bau von 300 Sozialwohnungen vor etlichen Jahren haben wir einen sehr hohen Anteil von Sozialhilfeempfängern, genauer gesagt: den höchsten in München. Die meisten Bewohner haben einen Migrationshintergrund.
In der unmittelbar angrenzenden Gemeinde wurde im letzten Jahr in einem leerstehenden Bürogebäude eine Notunterkunft für Migranten eröffnet. Die maximale Kapazität beträgt 5.000 Plätze (die tatsächliche Belegung war mal 1.700 und hat sich nun zwischen 500 und 800 eingependelt). Mein Wohnort (meine Heimat) hat sich dadurch stark verändert. Da ich kein Auto besitze, bin ich auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen. Natürlich fallen dort jetzt die vielen Migranten auf, die – wie ich – keine andere Möglichkeit der Fortbewegung haben. Und die Menschen, die bei uns am Ort untergebracht sind, kommen größtenteils aus Afrika (Sub-Sahara). In der S-Bahn stadteinwärts höre ich selten ein deutsches Wort. Beim einzigen Bäcker am Ort bin ich oft der einzige Deutsche in der Schlage. Dadurch stellt sich bei mir manchmal ein Gefühl von Heimatverlust ein. Ich hoffe, dass Sie das auch verstehen können. Darüber habe ich aber noch nie etwas in den Hauptnachrichten gesehen / gehört / gelesen. Bin ich wirklich der Einzige, der so denkt?
Ich weiß, dass Leute, die ausschließlich mit dem Auto fahren, meine Eindrücke nicht nachvollziehen können. Ebenso wenig die Eliten, die in den besseren Stadtteilen (Altstadt, Bogenhausen) leben oder Leute, die in studentisch geprägten Gegenden (Maxvorstadt) wohnen: dort gibt es diese Migranten nämlich nicht. Die Verteilung der Migranten funktioniert weder europaweit, noch zwischen den Bundesländern noch in den einzelnen Städten. So entstehen diese Brennpunkte. Und so entsteht mein sehr subjektiv geprägtes Gefühl.
Ich würde mir wünschen, dass auch die Medien regelmäßig mal einen Perspektivenwechsel vornehmen würden und so ein umfassenderes Bild der derzeitigen Situation zeichnen würden. Diese Breite vermisse ich in der Berichterstattung.
PS: Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass ich noch nie eine kritische Situation mit den Migranten erlebt habe. Sie warten – wenngleich meist in größeren Gruppen – ganz friedlich an der Haltestelle und verhalten sich normal. Allerdings können diese Ansammlungen manchmal schon einschüchternd wirken, vor allem, wenn ich alleine mit meinen zwei kleinen Kindern unterwegs bin.
Lieber Herr Hemeier,
vielen Dank für Ihren Kommentar!
Wie Sie meine Bauchschmerzen verstehen können, kann auch ich Ihre Kritik gut nachvollziehen.
Und ich finde es auch gut und wichtig, dass Sie diese so äußern, wie Sie es hier tun.
Tatsächlich finde ich, dass wir Journalisten unsere Arbeit häufiger im Hinblick auf ihre Ausführungen hinterfragen sollten. Vielleicht erkennen wir die Relevanz gewisser Probleme tatsächlich gelegentlich nicht, weil wir zu weit weg sind. Weil unser subjektives Gefühl ein anderes ist, als Ihres.
Aber selbstverständlich soll nicht nur unsere Wahrnehmung ihren Weg in die Berichterstattung finden, sondern auch Ihre und die von vielen anderen Menschen. Unsere Berichterstattung soll Breite zeigen. So, wie Sie es angesprochen haben.
Ich persönlich hoffe, dass die Kritik an den Medien uns auch ein gutes Stück Einsicht bringt und uns besser werden lässt. Und ich denke mit Hilfe konstruktiver Kritik, wie der Ihren, ist das machbar. Beziehungsweise: Muss machbar sein. Denn letztlich haben die allermeisten von uns Journalisten den Anspruch gute Arbeit zu leisten.
Was Ihr Beispiel im Speziellen angeht: Ich kann Ihnen empfehlen sich bei der Redaktion Oberbayern des Bayerischen Rundfunks zu melden (http://www.br.de/nachrichten/oberbayern/heisser-draht-studio-oberbayern-100.html). Das sind zwar nicht die Hauptnachrichten, aber Kollegen, bei denen ich vor einer ganzen Weile mal selbst ein Praktikum gemacht habe und von denen ich denke, dass sie sich für die Sorgen und Nöte der Menschen interessieren. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich die Kollegen mit dem Thema auseinandersetzten werden, wenn Sie es Ihnen so schreiben, wie Sie es hier im Kommentar getan haben. Ich würde mich auch freuen, wenn Sie mich auf dem Laufenden halten, was sich diesbezüglich ergibt.